Acht Frauen der Weltliteratur – ein verbindendes Schicksal: Sie alle sterben wegen eines Mannes. Acht junge Frauen der IGS Peine – eine Suche nach dem Verständnis von Weiblichkeit
In unschuldiges Weiß gekleidet stehen die acht jungen Frauen des Prüfungskurses Darstellendes Spiel im 12. Jahrgang auf der fast leeren Bühne des LOT-Theaters nebeneinander. Sie sind dem Publikum so nahe, dass sie den Blick ganz fesseln. Ihre Augen sind geschlossen, aber ihre Präsenz ist zwingend. Langsam erwachen die Figuren zum Leben. Die Mimik gerät in Bewegung, danach der Körper. Kaum haben sie ihre eigene Körperlichkeit entdeckt, wird auch schon ihr „Tod durch Herzschmerz“ durch ein Megaphon ausgerufen. Und so sterben Amalia, Julia, Ophelia, Penthesilea, Gretchen, Antigone, Emilia und Johanna den ihnen von der Literatur zugewiesenen Tod, jede Frau auf ihre eigene tragisch schöne Art.
Ende der Geschichte? Nein, erst der Anfang einer facettenreichen Befragung dieser Weibsbilder!
Zu atmosphärisch dichter und manchmal rhythmisch treibender Musik wechseln die acht Spielerinnen tänzerisch zwischen Pulk- und Solopartien, lassen sich in ihren weiblichen Motiven befragen, hinterfragen selbst und nehmen körperlich Stellung -– und kämpfen doch die ganze Zeit mit der Unsicherheit ihrer Frauenfiguren. Wer bestimmt, wer sie sind und wer sie sein wollen?
In einem getanzten Duett kommt das wechselhafte Spiel zwischen Anziehungskraft und Abhängigkeit besonders deutlich zum Ausdruck.
Immer wieder geben eingespielte Gedanken aus Interviews mit Freunden, Lehrern und Verwandten neue Impulse. Außerdem werden vermeintlich hilfreiche Tipps als Videoprojektion von außen an die Frauen herangetragen, zu denen sie sich körperlich positionieren: Mal liefern zwei junge Damen Ratschläge zur perfekten Frau, mal ist es ein männlicher Fitnesstrainer, der die Frauen an den Rand der körperlichen Erschöpfung treibt und sie anschließend erniedrigt.
In beeindruckender Intensität arbeiten sich die Tänzerinnen dabei an den Sportgeräten körperlich ab, während ihr Widerwille gegen dieses Fremdbestimmt-Sein von außen wächst und wächst.
Das sieht man an ihrer körperlichen Aktion und hört man an ihren Stimmen, die immer wütender und lauter werden. Sie behaupten sich und treffen eigene Entscheidungen. Gekonnt werden die Sprechtexte abwechslungsreich und stimmlich ausdrucksstark gestaltet. Man merkt deutlich, dass in den Aussagen die persönlichen Erfahrungen, Gedanken und Haltungen der Spielerinnen zum Tragen kommen. Die oft konträre, männlich geprägte Haltung zum Feminismus und zur Emanzipation als Teil heutiger Sichtweisen auf „das Weibliche“ wird so kritisch reflektiert.
Durch die Verschränkung des biografischen Ansatzes mit Interviewpassagen gelingt es der Gruppe unter der Leitung von Nadine Wolfahrt sehr überzeugend, die Haltungen der acht Weibsbilder aus der Literatur zu hinterfragen, aber auch in tieferem Sinne irgendwie verständlich werden zu lassen und dabei auch aktuelle Sichtweisen einzubinden.
Die durchgehend hohe körperliche und stimmliche Spielintensität der acht Tänzerinnen auf der Bühne reißt mit und das Hinterfragen der weiblichen Rollenbilder ist inhaltlich so vielfältig, dass man im Publikum nicht umhinkommt, die eigenen Haltungen zum Verständnis von Weiblichkeit zu überprüfen.
So gibt es am Ende auch den verdient langen Applaus für das selbstverfasste Stück. Auch in dem anschließenden Nachgespräch wird aus den vielen begeisterten Zuschauerkommentaren klar: Das war wirklich eine hervorragende Aufführung, die nachhaltig wirken wird, wenn wir in Zukunft über „Weibsbilder“ nachdenken!
Maike Paffrath
Ein Hoch auf die eindrucksvollen „WEIBSBILDER“ aus Peine
Wollten wir nicht alle schon einmal aus Liebeskummer sterben? Hatten wir nicht alle schon einmal das Gefühl, nie wieder glücklich sein zu können, nachdem wir von einem geliebten Menschen verlassen wurden? Acht Schülerinnen der IGS Peine aus dem Prüfungskurs Darstellendes Spiel des 12. Jahrgangs stellen sich genau diesen Fragen und leihen acht verschiedenen Frauen aus der Literatur, die genau aus diesen Gründen gestorben sind, ihre Stimmen. Sie wollten ein Zeichen setzen. Und das ist ihnen gelungen!
Der Saal wird dunkel, das Publikum verstummt, atmosphärische Musik setzt ein und acht junge Frauen in weißen Kleidern betreten in eindrucksvollem Gegenlicht die Bühne. Dass diese jungen Frauen eine besondere Stärke haben, wird bereits in der ersten Szene deutlich: Mit geschlossenen Augen beginnen sie ihre Nasen zu rümpfen, ihre Münder zu verziehen und verleihen ihren Gesichtern etwas fratzenhaftes. Es wirkt als ließen sie Gretchen, Amalia, Julia, Antigone, Penthesilea, Emilia, Johanna und Ophelia zu neuem Leben erwachen, um sie anschließend durch klar gesetzte und für die jeweilige Figur passende Todesgesten in einem rhythmisch festgelegten Raumlauf wieder sterben zu lassen. Dabei werden dem Zuschauer die Gründe für den jeweiligen Tod durch ein Megaphon verstärkt um die Ohren gehauen. Gänsehaut!
Es folgen spannende Elemente des Tanztheaters, wie zum Beispiel die Wiederholung einer bestimmten Gangabfolge, deren System sich bei jeder Wiederholung ändert und vom Zuschauer erst einmal durchschaut werden muss. Außerdem werden ein ironisierendes Tutorial für die perfekte Frau und ein fieser Fitnesstrainer in direktem Zusammenspiel mit den Spielerinnen auf der Bühne projiziert, chorisches Sprechen, ein Positionierungsprinzip zu biografischen Elementen der Spielerinnen und Audioaufnahmen von Personen, die gefragt wurden, ob sie das Verhalten der literarischen Figuren nachvollziehen können und wie sie die heutige Rolle der Frau einschätzen, eingesetzt.
Diese acht Weibsbilder haben keine Scheu davor, merkwürdig oder erschöpft auf der Bühne auszusehen, geben alles an ihren Fitnessgeräten und zeigen uns, dass Frauen es nicht nötig haben, sich zu schminken. Dabei bombardieren sie sich gegenseitig mit Fragen, die das Handeln der literarischen Figuren pointiert hinterfragen und das Publikum zum Grübeln darüber anregen, ob der Tod dieser Figuren tatsächlich der einzige Ausweg war. Magic Moment des gestrigen Abends – der überzeugende und eindrucksvolle Sprechchor über den Feminismus, der viele dazu verleitet Frauen schlichtweg als wütend abzustempeln.
Diesen acht jungen Frauen ist es unter der Leitung von Nadine Wolfarth gelungen, ein reflektiertes Statement zu setzen und uns zu zeigen, dass sie für diese Frauen einstehen. Eine sehr gelungene und dramaturgisch gut durchdachte Inszenierung!
Franziska Denecke