Rezension zu „Mango“

Und was machst du um 2 Uhr nachts?

Bereits vor dem Einlass steht die Frage Raum. Das Publikum ist dazu eingeladen, auf Zetteln zu notieren, welche Dinge sie nachts wach halten, und diese in eine silberne Box zu legen. Bei Betreten des Raums stehen 6 Darsteller*innen in weißen Hemden und mit Kaffeetassen an der Bühnenkante und warten. Sie schauen auf die Uhr, tippeln ungeduldig mit den Füßen und schlürfen ganz genüsslich ihren Kaffee; so lange, bis einem von ihnen Kaffee auf sein Hemd tropft, und mit einem lauten „Ach, scheiße!“ beginnt für die Spielenden der Arbeitsalltag. 

Der Prüfungskurs des 12. Jahrgangs der Sally-Perel-Gesamtschule unter Leitung von Daniel Tiemerding verarbeitet in seinem Stück Mango eindrucksvoll den von Falk Richter geschriebenen Text “2 Uhr nachts” und setzt sich mit der Rolle des Individuums in modernen Arbeitsgesellschaften auseinander. Zunächst sind alle Spieler*innen schwerstens beschäftigt, schreiben Mails und führen „wichtige“ Telefonate. Doch als erneut Kaffee verschüttet wird und die Hemden immer dreckiger werden, fängt die Fassade an zu bröckeln. Einzelne Zuschauende werden sogar dazu aufgefordert, die Flecken mit einer Schere aus dem Hemd zu schneiden, damit der Schein bewahrt werden kann. Doch ein finaler emotionaler Ausbruch: „Ich hab‘ kein Bock mehr auf die Scheiße!“, führt die Spielenden zu einer Textpassage, in der ein imaginäres „Du“ immer wieder gefragt wird: „Weinst du?“, „Wo bist du?“ und „Was machst du da?“ Während in einer Projektion immer wieder der Gesangskurs, die Faröer Inseln und „How To Build A Boat“ gegoogelt werden, verteilen die Spieler*innen Erde auf der gesamten Spielfläche, und die silberne Box wird in deren Mitte platziert. Die Darstellenden listen nun auf, was uns alle nachts wach hält:

Um 2 Uhr nachts esse ich Döner.  

Um 2 Uhr nachts bin ich kreativ.

Um 2 Uhr nachts bin ich betrunken.

Um 2 Uhr nachts spiele ich Candy Crush.

Um 2 Uhr nachts singe ich Gedichte.

Um 2 Uhr nachts Mango.

Anschließend entledigen sich die Spieler*innen ihrer Schuhe und kehren zurück in einen Alltags-Loop, der aus Schlafen, Aufstehen,Zähneputzen, Essen, Arbeit, Nach Hause und wieder Schlafen besteht, und wortwörtlich bis zur Erschöpfung durchgezogen werden muss. Erst wenn alle Darstellenden mit dem Rücken auf der Erde liegen, vom Alltag erschlagen, die Hemden dreckig und kaputt, wechselt die Stimmung. Zum Ausgleich der Work-Life-Balance wird nun Tai-Chi gemacht, und das Publikum bekommt erklärt, wie man aus einem Mangokern einen Baum wachsen lassen kann. Zum Abschluss bekommen die Zuschauenden ein Pflänzchen mit nach Hause. Vielleicht für uns alle ein weiterer Schritt, aus dem von Arbeit geprägten Leben auszubrechen.

Eine äußerst spannende Auseinandersetzung mit einem modernen Dramentext, die mit guten Mitteln und überzeugender Spielkraft nachhaltig zum Denken anregt!

Kenny Bundschuh

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