Ein Leben ohne Schönheit (und ohne Theater) ist unerträglich!
Was tun, wenn man ein Theaterkurs ist und nicht spielen darf, sich nicht nahekommen darf, jeder alleine in seinem Zimmer hocken muss, man von Partys nur träumen kann? Man schafft sich seine eigene Realität – und wenn’s ein Film ist.
Genau das haben 23 Schüler*innen des THG Göttingen getan und sich während der Corona-Zeit ausführlich mit den künstlerischen und technischen Bedingungen eines Filmsettings auseinandergesetzt. Herausgekommen ist eine spannende Produktion nach der Dramenvorlage „Concord Floral“ von Jordan Tannahill. Zutaten: Eine alte Scheune, die sprechen kann, eine Leiche, die Botschaften per Handy verschickt, Jugendliche auf einer Party, die aus dem Ruder läuft, zwei heimtückische „beste Freundinnen“, orakelnde Tiere und noch manch andere Überraschung.
Alles beginnt an einem ganz normalen Schultag, man bekommt Lust auf Eis, verabredet sich, zwei haben keinen Bock mehr auf die Gruppe, sondern sich ab, gehe eine rauchen in der alten Scheune. Dann wird es unheimlich. Eine vermeintliche Leiche wird entdeckt, das Handy verschwindet im roten Stoff, Entsetzen steht den Spieler*innen ins Gesicht geschrieben. Geschickt werden durch Großaufnahmen die Mimik und damit verbundene Gefühle in Szene gesetzt. Wie überhaupt eine Stärke dieses Filmes ist, in besonderen Perspektiven Gefühle und Stimmungen bis hin zur Haptik eines Kornfeldes sichtbar zu machen. So kann der Zuschauer sich in die Geschichte einfühlen und mit den Protagonist*innen fiebern.
Immer wieder wird man jedoch aus der Haupthandlung gerissen, wenn in verschiedenen Einschüben die Scheune, eine alte Matratze, Wildtiere wie ein Fuchs und ein Vogel oder auch die Leiche selbst zu Wort kommen. Zum Sortieren müsste man den Film eigentlich noch ein zweites Mal sehen – ein bisschen viel Montage (und Nebenhandlungen) für einen Krimi, da sich durch die vielen, schnellen Schnitte das Tempo erhöht und man stellenweise der eigentlichen Geschichte kaum noch folgen kann.
Spannend ist es, bewährte Mittel des Live-Theaters wie zum Beispiel einen Theaterchor oder ein Brainstorming, das man auf der Bühne wohl eher als Flüsterteppich inszeniert hätte, im Film umgesetzt zu erleben. Wie in einem Traum reihen sich hier die Assoziationsketten aneinander, die Spieler*innen sprechen in Satzketten und malen damit ein lebendiges Bild der Geschehnisse, ohne sie als Erzählerstimme inszenieren zu müssen. Dass es trotzdem auch einen Erzähler gibt, der einige Passagen berichtet, ist der Dramaturgie geschuldet, um Zusammenhänge zu verdeutlichen. Einige private oder auch doppelnde Gesten (ein Griff an die Herzgegend, wenn von Angst erzählt wird) sind wohl der Unerfahrenheit der jungen Schauspieler*innen zuzuschreiben, werden aber natürlich durch das Medium Film besonders verstärkt. Sicherlich im Nachhinein ein besonderer Lerneffekt.
Auf der anderen Seite wird das Medium aber durchdrungen und in seinen Besonderheiten gut genutzt. So kann Angst auch durch das Zerknüllen eines Kissens sicht- und spürbar gemacht werden. Das schlechte Gewissen über einen gemeinen Streich mit schrecklichen Folgen wirkt durch Horror-Musik und seltsame Laute besonders eindringlich. Und so bekommt der Satz der alten Scheune, dass ein Leben ohne Schönheit unerträglich sei, noch einmal eine ganz neue Bedeutung. Denn nicht nur Kinder suchen nach der Schönheit in der ganzen Welt, sondern auch der Zuschauer dieses Films wird dabei fündig, wenn er wundervolle, poetische Bilder von wogenden Ähren und schlafenden Träumern im Stroh zu sehen bekommt. 30 Minuten Spannung und Ästhetik pur!
Respekt und Applaus für diese eindrucksvolle Leistung!
von Agnes Koller