Rezension zu „Das Antigone-Projekt“

Das Antigone-Projekt

Liebe über den Tod hinaus

Im LOT-Theater setzen sich sechs Spieler*innen der Hoffmann-von-Fallersleben-Acting-AG Braunschweig unter der Leitung von Christine von Samson-Himmelstjerna und Nikita Schlosser eindrucksvoll mit dem schwergewichtigen Drama „Antigone“ von Sophokles auseinander.

Gekonnt rahmen die Spieler*innen die Handlung, indem sie zunächst als sie selbst auftreten, Schüler*innen, die sich über ein Stück und dessen moralische Schwierigkeiten bei einer Runde Wikinger Schach unterhalten. Erst durch das auf der Bühne sichtbare Anlegen längst vergangener Kleider werden sie selbst zu den tragischen Figuren rund um Antigone, Ismene und Kreon. Beeindruckend ist dabei vor allem der hohe inhaltliche Anspruch des Stückes. Antigone, die ihren verstorbenen Bruder Polyneikes, der in Ungnade fiel, nach Götterart beerdigen will, steht Kreon, dem König gegenüber, der diese Ehrung verwehrt. Gekonnt stellen die Spieler*innen an ausgewählten Textstellen die zentralen Konflikte dieses Dramas dar. Die moralische Frage nach dem richtigen Handeln steht dem weltlichen Recht gegenüber. Trotz des anspruchsvollen Textes gelingt es den Spieler*innen, diesen Konflikt durch ihr Spiel nachempfindbar zu machen. Eine besondere Schwierigkeit ist hier sicherlich das Spielen der extremen Emotionen der Hauptfigur, die teilweise zwischen Zorn, Trauer und Liebe zerrissen ist. Gerade die Gestaltung der Frauenfigur („Bedenke, dass wir Frauen sind, […] gehorsam sollen wir sein“) in diesen patriarchalen Strukturen rückt das Drama “Antigone” dabei in das Licht eines für diese Zeit fortschrittlichen humanistischen Ideals.

Als besonders eindrücklich gestaltet sich der zweite Teil der Inszenierung, in welchem der, aus heutiger Sicht eher ferne, Inhalt in einen zeitgenössischen Kontext transferiert wird. Die Masken und die Kleidung zur Figurenvorstellung aus dem ersten Teil weichen Social-Media-Posts, in welchen sich die Figuren in Hochformat vorstellen. Moderne Themen wie Klimaschutz und die Rechte der Frauen stehen hier dem kapitalistischen Ideal Kreons „Mut zum Erfolg“ gegenüber. Gerade der Tod Polyneikes’, des Bruders von Antigone, wird durch Drogensucht und die mangelnde Akzeptanz durch den Vater erfahrbarer als im antiken Ideal. Antigone organisiert mit ihrer Schwester Ismene eine geheime Beerdigung und wird zur Strafe von ihrem Vater gegen ihren Willen in eine psychiatrische Klinik eingeliefert. Besonders hier zeigt die Gruppe ein tiefes Verständnis der zentralen Konflikte und die Qualität, sich einem komplexen Thema anzunähern. Auch in dieser modernen Version bleibt Antigone ihren Idealen treu und Kreon zerreißt durch Kaltherzigkeit seine eigene Familie. So können wir uns nur alle selbst vornehmen, uns des Leitspruchs Antigones zu erinnern: „nicht zu hassen, zu lieben bin ich da.“

Daniel Tiemerding

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