Rezensionen zu „WWW (WasWäreWenn)“

WasWäreWenn – Fragen über Fragen

Wer will ich sein und sind meine Eltern bei meiner Wegfindung scheinendes Vorbild oder abschreckendes Beispiel? Woher kommt dieser Drang, diese innere Stimme, die uns immer wieder verleitet, den einfachen, bequemen, wenn auch oft moralisch fragwürdigen Weg zu gehen, anstatt uns für ein Ziel abzumühen und zu quälen? Kommt sie aus uns selbst oder sind es die gesellschaftlichen Umstände, die den Weg vorgeben? Oder doch von beidem etwas?

Diese Fragen erkundet der DSP-Kurs des 12 Jahrgangs der IGS Franzsches Feld in ihrer Produktion WasWäreWenn. In selbstgeschriebenen und -entwickelten Szenen verknüpft die Gruppe die Themenfelder Drogensucht, Social Media und zwischenmenschliche Beziehungen und erschafft in dem Ergebnis ein Produkt, welches mehr als die Summe seiner Bestandteile ist. Denn allen drei Themenbereichen ist eines gemein – sie bieten einen Ausweg aus unangenehmen bis unerträglichen Situationen, machen Überforderung, Einsamkeit und Langeweile erträglich und versprechen Anerkennung, Verbundenheit und Zuflucht. So fließen die Themenschwerpunkte nahtlos ineinander über und erschaffen eine tiefere Bedeutungsebene, die jedoch in alltäglichen Szenen verwurzelt ist.

Die Handlung selbst entstand aus von den Spielenden zusammengetragenen Klichées und Situationen, die ihnen aus den Medien, ihrem Umfeld und den eigenen Erfahrungen bekannt sind. Diese wurden immer wieder zugespitzt, destilliert, neu kombiniert und verknüpft. Es entsteht eine Verflechtung von Charakteren, die sich begegnen, sich annähern, austauschen und in Kontakt treten, sich aber auch entfremden und entfernen.

In Monologen betrachten sie ihre Innenwelt und halten diese ihrer Außenwirkung entgegen. Der erfolgreiche Motivationsredner, der vor gefüllten Hallen spricht, sitzt trotz seines Erfolges allein an der Bar und sehnt sich nach Anschluss. Der Psychologe, der anderen bei der Verarbeitung ihrer Probleme helfen soll, flüchtet sich ins Smartphone, um seinen eigenen Defiziten nicht ins Gesicht sehen zu müssen. Und die liebende Hausfrau und Mutter, die die Familie am Esstisch zusammen hält, raucht Gras, um den Stress loszuwerden. Mit ihrer Freundin, die Amphetamine nimmt, um als alleinerziehende Mutter und Restaurantbesitzerin ihren Alltag zu bewältigen, zieht sie über Süchtige her, schließlich hätten die beiden ja ihr Leben unter Kontrolle. Ihnen wird von ihren eigenen Kinder der Spiegel vorgehalten, die sich per Smartphone verabreden, um sich gegenseitig zu unterstützen.

Und immer wieder schlängelt sich – für die anderen Figuren unsichtbar – eine maskierte Figur durch die Szenen und verführt sie dazu, ihren Lasten nachzugeben und den besagten einfachen und bequemen Weg zu gehen, zum Handy zu greifen, eine Pille einzuwerfen, um den Tag zu überstehen. Die maskierte Figur hat weder Gesicht noch Namen und ob ihre Verführungen nun aus dem Selbst oder aus der Gesellschaft stammen, bleibt eine Frage, die sich jeder immer wieder selbst beantworten muss.

WasWäreWenn wirft in seinen Szenarien Fragen auf, die sich nicht universell und schon gar nicht einfach beantworten lassen und die nicht nur jeder für sich beantworten muss, sie müssen auch immer wieder hervorgeholt und neu erwogen werden. So bleibt die Produktion und das buchstäbliche “Was wäre, wenn…?” noch lange beim Zuschauer und begleitet ihn aus dem Theater raus in den Alltag.

Anna Rieckmann

 

Was wäre wenn?

Acht Stühle stehen auf der Bühne in einer Reihe. Figuren treten auf und gehen wieder ab. Sie befinden sich an einer Haltestelle, im Bus, im Café, auf einer Versammlung. Da sind zum Beispiel alkoholabhängige Personen, drogennehmende Mütter, ein heuchlerischer Motivationstrainer, eine „Öko-Tante“ und Jugendliche, die einfach nur weg wollen von zu Hause.         

Es werden verschiedene Handlungsstränge erzählt, die nicht nacheinander, sondern immer abwechselnd wieder aufgegriffen, weiter- und zusammengeführt werden. Durch das Umstellen der Stühle wird in die nächste Szene geleitet, diese so räumlich strukturiert und ein fließender Übergang gestaltet.

Weibliche Figuren tragen weiße, männliche schwarze Kleidung. Männliche Rollen werden mitunter von Spielerinnen verkörpert.    

Es gibt nur wenige Lichtwechsel, auch der Zuschauerraum wird beleuchtet. Die Spieler*innen sitzen im Zuschauerraum, treten aus ihm in den Bühnenraum und gehen auch wieder in diesen ab. Der Fokus liegt auf den gesprochenen Dialogen und Bewegungssequenzen.

Es tauchen hin und wieder Figuren auf, die Masken tragen.  Sie betreten den Bühnenraum und nehmen – von den Spieler*innen scheinbar unbemerkt – Einfluss auf deren Entscheidungen, mal mit positiven, mal mit negativen Auswirkungen. Dem Zuschauenden wird dabei selbst überlassen, wie er diese Gestalten interpretiert.        

Sie kommen immer wieder vor und ziehen sich wie ein roter Faden durch das Stück. Auch immer wiederkehrend sind Fragen nach eigener Freiheit, nach Zwängen, nach Zukunft, nach dem Changieren zwischen Arbeits-und Familienleben und der Suche nach dem eigenen Glück. Auffallen tun vor allem die Szenen, die den Wunsch nach Anerkennung und die Angst vor dem Alleinsein und der Einsamkeit zur Sprache bringen.   

All diese Themen münden in drei große Themenkomplexe, mit denen sich die Spieler*innen während des Erarbeitungsprozesses auseinandergesetzt haben: Drogen und Sucht, Familie und Freunde und Social Media. Dazu beschäftigten sich die Darsteller*innen mit eigenen Erfahrungen aus dem persönlichen Umfeld, wie auch mit Eindrücken aus Serien und anderen Medien. Sie schrieben Szenen und erarbeiteten Rollen und bedienten sich dabei unter anderem auch gängiger Klischees, wie die überspitzte Darstellung der Figuren zeigt.      

Nicht nur der Titel lässt dem Zuschauenden Spielraum für eigene Interpretationen und Erklärungsansätze. Ist es die „postrevolutionäre Depression“ – wie es im Ankündigungstext heißt – die die Spieler*innen hier auf die Bühne gebracht haben oder vielmehr ein Appell an die Zuschauenden, sich selbst und ihre eigene Situation zu hinterfragen? Und wer ist es, den die Spieler*innen ansprechen? Ist es ihre Generation, die Jugend, der sie etwas zu sagen haben oder doch die Generation ihrer Eltern und Großeltern?  

Dem DS-Kurs des 12.Jahrgangs der IGS Franzsches Feld Braunschweig unter der Spielleitung von Gudrun Klasmeyer und Kaja Brandenburger gelingt es mit ihrer selbstverfassten Arbeit ein Stück auf die Bühne zu bringen, das sich mit dem Aufeinandertreffen verschiedenster Themen beschäftigt. Die Spieler*innen beweisen ein gutes Gruppengefühl und Bühnenpräsenz. Wünschenswert gewesen wäre, an einigen Stellen eine klarere und lautere Stimme.

Die Frage, die am Ende noch bleiben könnte, ist die nach der eigenen persönlichen Positionierung der Darsteller*innen zu den aufgeworfenen großen und tiefgehenden Fragen und Thematiken abseits ihrer Rollenarbeit.

Klara Patermann

Die Jugend von heute… wie oft fällt dieser Satz im negativen Sinn. Die meisten Erwachsenen haben das Gefühl dafür verloren, was es heute heißt, jung zu sein, welche Probleme die Welt machen kann – sei es bei persönlichen Konflikten, gesellschaftlichen Erwartungen in der Familie oder mit Freunden. Das Stück „WWW (WasWäreWenn)“ des 12er-Kurses Darstellendes Spiel der IGS Franzsches Feld ist ein Blick in Kopf und Herz junger Menschen.

„Wir haben das schon akzeptiert, dass nicht überall Sonnenblumen sind“, fasst es einer der Spieler nach dem Stück treffend zusammen. Jugendliche, die in Alkoholsucht abdriften, unbedacht ihre Unschuld verlieren, Zuflucht in utopischen Gedankenwelten oder in der Flucht in eine andere Stadt suchen.

Dabei beschränken sich die jungen Erwachsenen nicht auf eine Selbstreflexion von Problemen des Erwachsenwerdens, sondern sie gehen auch mit Eltern ins Gericht: Mütter, die sich aufgrund von Überlastung in Drogen flüchten, dennoch die bürgerliche Fassade aufrecht erhalten können, ein Vater, der seine Ehefrau betrogen hat und nach der Trennung in den Alkoholismus abstürzt.  

Manche Themen wie das Geschlecht, werden nur kurz angeschnitten, die Zufallsbekanntschaften Fiona und Johanna treffen in Berlin auf die umoperierte Bonny, die als Junge geboren wurde. Die Kürze mancher Themen mit fehlender Tiefe gleichzusetzen, geht aber fehl, denn die Leistung der Inszenierung liegt gerade in dem großen Bogen zur Lebenswelt der Jugendlichen: einer Welt voller Optionen und in dem Sinne einem wesentlich anspruchsvolleren Leben als vor 60 Jahren – einem Leben, das geprägt ist von großer Freiheit, aber auch dem Zwang, sich entscheiden zu müssen.

Sämtliche Szenen und Dialoge seien von den Schüler*innen gekommen, betont eine der Spielleiterinnen. Das tut dem Stück unsagbar gut. Die Dialoge sind frech – im Sinne von aufrichtig und erfrischend, die Szenen ehrlich und ungeschönt. Besonders gelungen ist die Einbindung der Tribüne des LOT-Theaters. Die Spieler*innen sitzen im Publikum, stehen zu ihren Auftritten auf und gehen auf die Bühne. In einer Szene brüllen sie aus dem Publikum heraus im Chor. Dies beeindruckt ebenso sehr, wie ein geschickt inszenierter gesprochener Whatsapp-Dialog.    

Immer wieder tauchen während des Stückes Spieler*innen mit Masken auf. Sie lenken die Geschicke auf der Bühne mal zum Guten, mal zum Bösen. Hinter der Maske steckt eine philosophische Komponente. Sie stehe symbolisch für die Frage, was unser Handeln beeinflusse, erklären die Spieler*innen. Dies könne etwa die Gesellschaft, das Selbst oder das Schicksal sein. Im Endeffekt müsse dies der Betrachter jedoch selber entscheiden. Und damit entlassen sie die Zuschauer*innen – im Sinne der Kunst – in einen jener Konflikte, der die jungen Menschen umtreibt.

Philip Najdzion

WWW – „Was wäre wenn?“ oder vielleicht eher „Was wir wahrnehmen?“

In einer selbstverfassten Szenencollage setzt sich der DS-Kurs des zwölften Jahrgangs der IGS Franzsches Feld mit dem Ist-Zustand unserer Gesellschaft auseinander. In eigenen Dialogen spiegeln die Spieler*innen unterschiedliche Rollen und Lebensentwürfe, Ängste, Sorgen, Gewinner und Verlierer unserer Gegenwart wider. Vor allem ihr persönliches Interesse, der Umgang mit Social Media, Süchte, Familienprobleme, Umwelt und Geschlechterrollen werden thematisiert. Fast alle Themen unserer jetzigen Gesellschaft finden Platz, werden häufig klischeehaft dargestellt, aber durch Überspitzung und Humor gleichzeitig hinterfragt. Durch schülernahe Sprache und inhaltliche Brüche gelingt es den Spieler*innen das Publikum mitzunehmen und zum Lachen, aber auch zum nachdenklichen Schmunzeln zu bringen. Ein klares Bühnenbild, wenig Requisiten, wenig Medieneinsatz, einfaches Licht und schlichte Kostüme ermöglichen den Fokus auf die Dialoge. Spannende Szenenwechsel, etwa durch gut gehaltenes Freeze, das Bespielen des Zuschauerraumes und schnelle Rollenwechsel ermöglichen einen interessanten Ablauf und wenig Spannungsverlust trotz der vielleicht etwas einseitigen Form der Auseinandersetzung mit dem Thema in Form von Dialogen.

Zwei Details stachen für mich besonders hervor und sorgten für ein nachhaltigeres Grübeln über das Stück. Trugen die Spieler*innen nur schwarz und weiß, um die Gewinner und Verlierer der Gesellschaft zu symbolisieren? Gibt es die Gewinner und Verlierer in der Gesellschaft? Wie viel der augenscheinlichen Gewinner, des Motivationstrainers, der alleinerziehenden Mutter, der/s Instagrammers/in, ist nur Schein? Besonders im Verlauf des Stücks wird deutlich, schwarz und weiß, das gibt es nicht und jeder hat in irgendeiner Form seine Gewinner- und Verliererseiten.

Ein weiteres Detail sind zwei maskierte Spieler*innen, ebenso schwarz und weiß, die den Verlauf der Dinge immer wieder beeinflussen ohne Teil der Szene zu sein. Sie werfen die Fragen auf: Wer beeinflusst uns?  Ist es das Schicksal? Sind es die Einflüsse von außen oder von innen? Wie treffen wir unsere Entscheidungen? Sind wir es oder nur die Maske, die wir tragen?

So ist es den Spieler*innen insgesamt gelungen, ihre Sicht auf die heutige Gesellschaft in witzigen und nachdenklichen Szenen zu vermitteln.

Antje Hilmer

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