Rezension zu „Die relative Masse der Zeit“

An der Uhr lässt sich doch drehen!

Ausprobiert hat dies die Oberschule Lehre mit ihren Wahlpflichtkursen und insgesamt 42 SpielerInnen der Klassenstufen 6 – 10, die mit großer Wucht und Power durch die Zeit springen.

Zunächst wird wortwörtlich mittels körperlicher Darstellung an der Uhr gedreht. Check! Funktioniert! Und wenn es den Uhrendrehern gerade nicht peppig genug auf der Bühne ist, wird per Kommando „Rückwärts!“ einfach zurückgespult und noch mal gespielt. Wie cool, dass das im Theater einfach so geht! Aber von wenig Pepp auf der Bühne kann gar nicht die Rede sein. Im Gegenteil! Mit großer Spielfreude und starker Bühnenpräsenz begleiten die Spielerinnen und Spieler die Figur Paula, die mittels psychedelisch videoprojizierter Zeitmaschine durch verschiedene Zeitepochen querfeldein reist – von den ersten Affen ins Jahr 1890, dann 1959, 1922, 2102, 1259, 2222, 1997 …

Im Kopf hängen bleiben überaus viele Szenen, die mit viel Spielwitz und überzeugenden Sprach- und Bewegungschören inszeniert sind, wie zum Beispiel: ein Wildwest-Duell, ein Stocktanz in den 20ern in Slapstick-Manier, eine Roboterschule im Jahr 2222, eine erschreckende Massenhexenjagd und der Pestausbruch, der mit einem Text aus Albert Camus Romans gerahmt wird. Und auch die hyperhysterischen Fans des Elvis Presley in den 50ern machen ebenso viel Spaß wie die Spice Girls und Backstreet Boys in den 90ern. Und einmal wiederholt sich sogar eine (düstere) Zeitsequenz in der Zukunft, in der die Spieler stecken bleiben und einen Weg mittels eines adaptierten „Ton Steine Scherben“-Textes hinaus suchen.

Die Figur Paula bleibt zum Schluss freiwillig aus Liebe im Jahr 1997. Die Frage ist dann nicht mehr: “Wo ist Paula?”, sondern “Wann ist Paula?“

Insgesamt faszinierend ist, wie die vielen Mädchen und sehr vielen Jungs! stets jahrgangsübergreifend gemeinsam agieren und auch einmal per witzigem Videoeinspieler selbst zu Wort kommen. Sie erzählen, ob, wohin, und warum sie gerne einmal Zeitreisen würden. Schade, dass das nicht wirklich geht. Da müssen wir uns leider alle an die Uhrendreher halten, die gleich zu Beginn des Stücks entschieden haben, nicht zu verreisen, denn:  „Wir haben unsere Zeit! Es ist zwar nicht die Beste, aber es ist unsere!”

Ein so passender wie hoffnungsvoller Satz für unsere Gegenwart!

Wie schön, dass die Spielgruppe ihre Zeit in diese Inszenierung gesteckt hat, die überaus gelungen ist und vom Publikum mit einem frenetischen Applaus und ausrastenden Backstreet Boys-Fans belohnt wurde.

Constanze Sallatsch

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