Rezension zu „Hamlet – Seil oder nicht Seil“

„Ophelia heul leise!“

Die Teilnehmer*innen der Eröffnung der 50. Schultheaterwoche durften heute Vormittag einen sehr ausdrucksstarken Hamlet und seine doch so unterschiedlichen und für den einen oder anderen Zuschauer sehr merkwürdig erscheinenden Verwandten erleben. Wie heißt es doch so schön – Freunde kann man sich aussuchen, Familie nicht!

Der Darstellendes Spiel-Kurs des Theodor-Heuss-Gymnasiums Göttingen, unter der Leitung von Claus Schlegel, hat sich den familiären Aspekt mit seinen Strukturen und Verknüpfungen aus Shakespeares Klassiker „Hamlet“ ausgesucht und zerrt mit seinen 15 Spieler*innen alle Verwandten Hamlets auf die Bühne des Kleinen Hauses. Hier darf jeder mal zu Wort kommen und in einem therapeutischen Bällebad seine Meinung kundtun.

Das Thema Familie wird in der Inszenierung „Hamlet – Seil oder nicht Seil“ durch verschiedenfarbige Seile visualisiert, die sich wie ein roter Faden durch das Stück ziehen. Die Verbindungen einzelner Familienmitglieder werden durch das Einwickeln und Aneinanderknoten  zusammengehörender Charaktere sichtbar. Das Gefangensein Hamlets in diesen familiären Strukturen wird durch ein Netz aus Seilen in bedrohlichem rotem Licht übersetzt. Die Wut Hamlets und die Empörung gegenüber seinem Onkel werden durch Springseilspringen und das Peitschen auf den Boden verstärkt. Ein passendes, wenn auch naheliegendes Requisit, das immer wieder zum Einsatz kommt.

Mithilfe ihrer selbst ausgewählten Kostüme und ihrer individuell festgelegten Körpersprache, wie zum Beispiel die Yoga-Abfolgen ausführende Gertrud oder der Kampfsport betreibende Claudius, gelingt es den meisten SpielerInnen ihre Figur überzeugend darzustellen und ihnen teilweise sogar einen eigenen Sprachduktus zu verleihen. Die Länge und Bedeutung einzelner Redeanteile hätte meiner Meinung nach jedoch an manchen Stellen noch einmal hinterfragt werden dürfen. Dennoch finden immer wieder Wechsel zwischen klassischen Elementen des Hamlets und jugendsprachlichen Elementen wie „Ophelia heul leise!“ statt, die das Publikum zum Lachen bringen und den „Stoff“ leicht verständlich machen. Besonders die Spielerin des Hamlets sticht mit ihren starken Blicken und ihrer authentischen Art des irren und wirren Sprechens immer wieder heraus.

Diese Inszenierung zeigt, dass es kein pompöses Bühnenbild braucht, um dem Zuschauer etwas zu vermitteln, ihn zum Nachdenken anzuregen, wie es beispielsweise um die eigene Familie steht, oder einfach nur zu unterhalten. Die Musikauswahl, die überzeugenden Spieler*innen und die wiederkehrenden Tanz- und Bewegungsabfolgen, die den seelischen Zustand Hamlets erkennen lassen, machen diesen Auftakt zu einem runden Spektakel.

Franziska Denecke

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