Und wie viel Superfoods hast du dir heute schon in dein Müsli geschüttet?
Der 13‘er Kurs des Gymnasiums im Schloss aus Wolfenbüttel unter der Leitung von Christian Krüger und Sophie Gittermann liefert mit dem Stück „Richtig.Gutes.Zeug.“ eine bunt verpackte Konsumkritik auf der Bühne des LOT-Theaters ab.
Mit bunt verkleideten Superfoods in Neontüll, die über die Bühne voguen, Gegenlicht und Nebel, einem Stückchen Wiese auf der Bühne, inklusive einem Kühlschrank, beginnt das Stück fulminant.
In den nächsten 35 Minuten bekommen die Zuschauer*innen eine Mischung aus Produktinformationen für Superfoods, ein Tinder für optimale Lebensmittel, vielfache Werbeversprechen der Industrie, den Zwang des healthy Lebensstyles der heutigen Zeit und mitunter den verzweifelten Kampf eines aufgequollenen Chia-Samens präsentiert. Da verlieren die heimische Kartoffel und der Brokkoli um Längen gegen Chia-Samen und die heißgeliebte Avocado. Oder sollte man lange Lieferketten und Wasserverbrauch etwa in seine Kaufentscheidungen mit einbeziehen? Hier fängt die/der Zuschauende spätestens einmal an, seine eigenen Einkaufsgewohnheiten zu hinterfragen und ertappt sich selbst bei der Zustimmung, häufig einfach nur nach einem schönen Etikett einzukaufen.
#goodlife #richtig.gudes.zeuch #glöcklerstrass #12,99 #loveit #health4u #tasty #moppelkotze #woistdieAvocado?
Zwischen synchronen Tanzsequenzen zu wummernden Bässen, selbst gestalteten Videoanimationen, chorischen Gesängen zwischen Goji, Avocado, Weizengras und Quinoa wird dem Zuschauerauge nie langweilig und es entsteht eine schöner Flow des Stückes. Das sich die Schüler*innen in doch eher außergewöhnliche Kostüme wagen und manchmal auch ein bisschen sehr „feucht“ sprechen, bei dem gleichzeitig angemerktem Drang zur Schönheit und Perfektion, rundet das ganze Bild stimmig ab, herrlich ungeniert! Hier würde nicht jede*r DS-Schüler*in mitmachen!
Und so bleibt am Ende die Forderung nach ein bisschen mehr #BratwurstMitDönerfleischHauptsacheLecker! und deutlich weniger Food-Influencing!
von Franziska Teine
Lustvolle Verspottung des kulinarischen Zeitgeistes
Schon das Intro zeigt: diese Gruppe kann Selbstironie. Verzerrte Gesichter in überdimensionierten Avocados stellen sich mit kieksiger Stimme vor.
Auf der Eingangsleinwand steht dann auch in Riesenlettern „SUPER“, denn darum geht es im Kern: sein Leben, seinen Körper und insbesondere seine Ernährung super zu finden.
Entsprechend dynamisch sind die einzelnen Szenen gearbeitet: Schon zu Beginn werden zum druckvollen Deichkind-Sound – von Nebelschwaden unterstützt – Stärke, Beweglichkeit und Fitness zelebriert. Dazu zählt eine Off-Stimme Superfood-Artikel auf, je exotischer der Namen, desto verheißungsvoller die Wirkung, darf man annehmen. Irgendwie ist von Anfang an alles ein bisschen zu schön, zu bunt, zu unecht und damit eher im Sinne des Liechtensteinischen „Supergeil“ reichlich selbstironisch.
Die zehn Spielerinnen bewegen sich frisch und agil in einer Mischung aus Sportanzug und Tüllstoffen, die an Cheerleader erinnern, zu genau einstudierten Choreographien über die Bühne, berichten gut aufgelegt und munter von ihren Superfood-Erlebnissen in die Kamera und strahlen das Publikum herausfordernd an. Manchmal stimmen sie auch ein Lied an, dann aber (mit Ansage) gerne im künstlichen Playback, das mitunter aber auch nur ein vorgetäuschtes Playback sein kann. „Schön, schlank und fit“ ist ihr Mantra und dennoch nehmen sie wortwörtlich den Mund ziemlich voll. Dieses Spiel aus Schein und Sein wird auch in der Raumkomposition fortgesetzt: Der Raum ist im vorderen Teil durch eine grüne (künstliche?) Barriere abgetrennt und im hinteren Teil durch eine Leinwand, die konsequent in das Spiel einbezogen wird. In der vorderen Ecke steht ein mystischer Kühlschrank.
Wie immer in den letzten Jahren, zeichnet sich die Arbeit von Spielleiter Christian Krüger vor allem dadurch aus, dass sie ein gelungenes Gesamtkunstwerk darstellt. Musik, Text, Kostüme, Bühnenbild und Spiel sind durchgehend sinnvoll aufeinander abgestimmt, mal verstärkend, oft ironisch.
Die auf der Leinwand präsentierten Zeichnungen, die dem Design Sozialer Netzwerke nachgeahmt sind, kommentieren das Geschehen oder dekonstruieren das Spiel, indem z.B. im Vordergrund fröhlich gewippt und im Hintergrund die unglaublich lange Reisezeit der beliebten Superfood-Gemüse projiziert wird, vorgetragen von einer samtenen Werbestimme. Besonders gelungen sind die Momente, in denen die Leinwand zusätzlich zur Interaktion genutzt wird. Mehr von diesem Superfood der Bühne, bitte!
Die Spielerinnen agieren konzentriert und mit erkennbar viel Freude an der Sache und obwohl vieles in der Gruppe ausgespielt wird, wird auch immer Gelegenheit geschaffen für individuelle Spielweisen und persönliche Momente. Einen grandiosen Auftritt legt zum Beispiel die Spielerin im grünen Kostüm hin, die unausgesetzt Wasser trinkt und mit vollem Mund davon erzählt, wie sie mit ihrer Figur hadert, während sie vom hervorquellenden Wasser genässt wird. Hinreißend komisch und traurig zugleich.
Die einzelnen Szenen stehen gleichwertig nebeneinander und sind locker nach dem Collage-Prinzip aneinandergereiht, wobei die Übergänge meist nahtlos eingefügt werden. Der Rahmen ist sehenswert gestaltet, indem die Schlussszene noch einmal konterkarierend die Eingangsszene aufnimmt, nur dass Schrift, Musik und Figuren sich konsequent rückwärts bewegen, so, als würde alles wieder auf Anfang gestellt. Origineller lässt sich ein ironisches Stück über den Ernährungs- und Fitnesswahn unserer Zeit nicht abschließen.
von Claus Schlegel