„Ich habe einfach nur mitgemacht!“
Zwei Verhörtische mit Schreibmaschinen flankieren die Szenerie. Im Zentrum, von Palettenmauern umgeben, steht ein älterer Mann – es ist Bernd Lippmann, ehemaliger Freiheitsaktivist und dadurch Strafgefangener der Staatssicherheit der DDR. Aus seinem Leben und dem seiner Mitstreiter*innen berichtet ein besonderes Theaterprojekt von Oberstufenschüler*innen der Neuen Schule Wolfsburg.
Gesprochene Protokolltexte aus Verhören erklingen aus dem Off, Kinder tänzeln um Lippmann herum, bis sich die Palettenmauern in Gefängnispritschen umwandeln, neun an der Zahl, Lippmann nimmt auf einer von ihr Platz und bleibt dauerhaft präsent, in der Hand das Buch von Eugen Wenzel, welches den dargestellten Stasihäftlingen eine Stimme wider das Vergessen verliehen hat.
Das weinerliche Jammern einer verhörten und der Republikflucht angeklagten Schülerin aus Anklam ist zu hören, sie fleht, die Genossen mögen sie verschonen, sie liebe ihr Land, sie habe doch nur mit den anderen mitgemacht…
Alle Pritschen sind belegt, Lippmanns Mithäftlinge erklären ihr Leid, ihre Situation ohne Ausweg, individuell untermalt von Instrumenten, die ganz individuelle Tonsequenzen von sich geben. Ergreifend deklamierte Klagen, mal weinerlich-sakral, mal hysterisch-schreiend. Das Publikum ist der Stasihaft gespenstisch nah. Es verfolgt auch das Schicksal von Melanie Weber, einer besonderen Widerstandskämpferin.
Schließlich werden die Verhörtische „zu Grabe getragen“. Die Stasi ist nicht mehr. Gewürdigt wird am Grabe der mutige Kampf von Melanie gegen den freiheitsraubenden Staatsapparat. Nach gesungenem „Ecce Homo“ bleibt nur Lippmann übrig, der seine ganz persönlichen Erinnerungen an seine Protestpartnerin Melanie Weber und dem Freiberger Kreis erzählt. Sie agierten nach Vorbild der Geschwister Scholl gegen einen übermächtigen Gegner. Er erzählt seine Geschichte des Widerstands, des Freikaufs durch die Bundesrepublik Deutschland und seinem weiteren Einsatz für DDR-Flüchtlinge in West-Berlin – alles unter weiterer und unbemerkter Beobachtung durch die Stasi – bis hin zu einem glücklichen Ende einer West-Ost-Liebe.
Die Textgrundlage des Stückes, welche im Prinzip keine Abweichungen vom Original duldet, die eigens, aber fremd komponierte Musik von Girolamo Deraco und die strikte und präzise Regiearbeit des Kunstpädagogen Eyal Lerner sind eine hervorragende Vorbereitung auf eine Arbeit im Profitheater, nimmt hingegen den darstellenden Schüler*innen nahezu jeglichen Raum für eigene Kreativität und Selbstverwirklichung. Zudem werden wesentliche musikalische Beiträge von Lehrer*innen erbracht.
Die so einschränkenden Vorgaben jedoch erfüllen die Darsteller*innen des Theaterkurses Jg. 11 und Musiker*innen des Leistungskurses Musik Jg. 13 mit Bravour und sie finden sich wirkungsvoll sprachlich-emotional in die Szenerie ein.
Ein gespenstisches Stück Zeitgeschichte.
Matthias Geginat