Rezensionen zu „Conferences“

Hochkomik mit Triggerwarnung

Was bleibt einem im Lockdown schon übrig? Konferenzen! – Und was kann ein DS-Kurs im sogenannten C-Szenario noch tun? Er kann noch mehr Konferenzen abhalten und aus noch mehr Konferenzen ein feines Stück kreieren!

Gedacht getan: Der Darstellendes Spiel-Prüfungskurs der Ricarda-Huch-Schule BS unter der Leitung von Matthias Geginat hat aus der bekannten Not, die uns alle das letzte Jahr traf, eine produktive Tugend gemacht und es lässt sich gleich vorwegnehmen: mit vielen Ideen und viel Humor! – Ich habe selten so oft gelacht bei einer Schultheateraufführung!

Sehr komisch und glänzend umgesetzt ist gleich der erste Film: Vater, Mutter, Kind und Therapeutin sind zwar durchaus stereotypenhaft angelegt, aber werden mit viel Freude an der Nuance ausgespielt. Die Settings sind wohlüberlegt, die Dialoge blitzen, die Unlust des Knaben macht ihn sofort zum Sympathieträger (Lieblingssatz: „Jetzt hab ich nicht nur schlechte Noten, sondern auch keinen Vater mehr!“) und das gestische Spiel der Therapeutin ist brillant in seiner gewollten Unnatürlichkeit. Die überraschende Pointe am Ende sitzt und rundet die Szene gelungen ab.

Die zweite Konferenz ist originell, witzig und strahlt eine große Spiellust aus. Josie und Valentina (schon die Namen sind Programm!) drehen mächtig auf und kommen in einen glänzenden Spielfluss – und das wohlgemerkt ohne Publikum und ohne Bühne. Allein vor der Kamera gelingt es ihnen, sich selbst zu animieren, zur Hochform aufzulaufen und jegliche Schüchternheit und Angst vor Peinlichkeit abzuwerfen. Absolut sehenswert!

Die dritte Videokonferenz holt den Betrachter wieder etwas herunter in die Ebenen der komplizierten Beziehungsprobleme. Verständlich gespielt und gesprochen, mit einem lockeren Dialogverlauf und mit einer Pointe, die vielleicht nicht jeder kommen sieht.

Die vierte Konferenz enthält eine Triggerwarnung, führt uns aber wieder in die Höhen der Komik und nimmt nach einem eher entspannten Anfang mächtig an Fahrt auf. Wer kennt nicht die ellenlange Phobien-Liste auf Wikipedia, die alphabetisch sortiert, über 100 Phobien aufzählt, die teilweise ordentlich zum Schmunzeln reizen? Mit Phobien ist das so eine Sache: einigen rühmen sich ihrer Ängste, andere leiden darunter und wieder andere können auch darüber lachen, wenn sie sich selbst dabei ertappen.

Die dargebotene Szene macht sich nicht über Betroffene lustig, sondern über eine allzumenschliche Gemeinheit – nämlich die wunderbarste Fiesigkeit, die sich eine Leidende ausdenken kann: die anderen Patienten als Blitzableiter zu benutzen und die eigenen Ängste dadurch bekämpfen, dass man den anderen Angst einjagt. Das wird hier köstlich ausgespielt und wieder einmal ohne Hemmungen präsentiert.

Großes Lob an die Gruppe aus Braunschweig, die in ängstlichen Zeiten ihren Humor bewahrt hat und um das ganze Konferieren und Zoomen die allerschönsten Pointen gebaut hat!

von Claus Schlegel

Mehr als eine Python namens…

 

Dass Video-Plattformen nicht nur einen begrenzenden Faktor haben, sondern durchaus auch als  erweiterndes inhaltliches sowie stilistisches Mittel verwendet werden können, wird in dem Stück „Conferences“ von den Schüler*innen der Ricarda-Huch-Schule Braunschweig bewiesen, welches aus vier Kurzfilmen zusammengesetzt ist.

 

Es beginnt mit „Der Vorwand“, einem Kurzfilm über eine Therapiestunde mit mehr als nur einer Überraschung. Am Anfang ist nur die Therapeutin sichtbar, die sich etwas zerstreut auf die kommende Sitzung vorbereitet. Dadurch wird dem Zuschauer eine Art allwissende Beobachterrolle zugeschrieben und aufgrund der Bemerkung der Therapeutin, dass es sich um eine Familie handelt, ist der Beginn der Sitzung nicht wirklich überraschend. Durch diese Vorhersehbarkeit wird der Zuschauer bestätigt und in Sicherheit gewogen, doch dies ändert sich abrupt, als durch eine Bemerkung am Rande herauskommt, dass der Familienvater nicht der leibliche Vater der Sohnes ist. Die darauf folgende Bestürzung wird durch eine chorische Bewegungssequenz verstärkt, die man nachahmen möchte. Nachdem sich die Familie nacheinander ausgeloggt hat und man mit dem Ende rechnet, kehrt der Vater noch einmal in das Meeting zurück und sorgt für einen noch größeren Plot Twist, der einen erstaunt und ungläubig zurücklässt. Gerade durch die Authentizität der Therapeutin und die  Dynamik der Familie wird man in das Stück hineingesogen und empfindet das Format der Videoplattform sogar spannender, da die Separiertheit der Personen deutlicher wird und auch die Mimik besser erkennbar ist.

 

Der darauf folgende Kurzfilm „Mädelsabend mal anders – Wolters sehen?“ zeigt zwei Freundinnen, die sich online gemeinsam ein Fußballspiel ansehen. Auch hier sorgen Elemente wie ein unerwarteter Kleiderwechsel, der choreographisch und synchron gestaltet wird, für Dynamik und Abwechslung. Hier sind besonders die Charaktere der beiden Freundinnen interessant und sorgen, obwohl einem diese nach einiger Zeit etwas zu aufgesetzt vorkommen, immer wieder für Lacher. Zum Ende hin kommt heraus, dass die bisherigen Charaktere nur gespielt waren, also ein Theaterstück im Theaterstück stattfand, und dies den Mädelsabend „mal anders“ gemacht hat. Auch hier wieder ein überraschendes Element und für den ein oder anderen mal ein lustiger Vorschlag zum selber ausprobieren. So oder so wird auch hier durch besondere schauspielerische Leistung und chorische Elemente eine beim Zuschauen sehr interessante Dynamik zwischen zwei Freundinnen dargestellt, die nach der Auflösung allerdings noch etwas straffer hätte zusammengeführt werden können.

 

Bei „Eine Python namens…“ treffen sich zwei beste Freundinnen, die auf der gleichen Dating Website aktiv sind, unwissentlich mit demselben Date. Hier wird der Aspekt der Online-Videoplattform auch inhaltlich stark eingebunden, da ohne das zufällige Einloggen der einen Freundin der Betrug vermutlich nie herausgekommen wäre. Besonders das Verwenden der gleichen Begrüßung des Dates gegenüber den Freundinnen, sowie die Beziehung letzterer zueinander sind Stärken des Stückes; große Überraschungen, die dem Ganzen etwas mehr Spannung verliehen hätten, gibt es allerdings nicht.

 

Zuletzt folgt „Absurdes Get Together“, welches sich mit verschiedenen Phobien in einer Gruppentherapie beschäftigt und dafür sorgt, dass die Therapeutin kündigen will. Jedes einzelne Chatfenster stellt eine eigene Instanz dar, die von anderen Chatfenstern beeinflusst wird, und so ist es besonders spannend zu sehen, wie die anfangs noch sehr freundliche und rücksichtsvolle Atmosphäre zu einer aggressiven und intoleranten umschwenkt, sobald die Therapeutin kurz den Raum verlässt. Da die Zuschauer*innen allerdings schon von Beginn an wissen, dass etwas in dieser Stunde schieflaufen wird, verliert das Stück etwas von dem Überraschungseffekt, sorgt aber gleichzeitig auch für einen plausiblen Rahmen.

 

Obwohl diese Kurzfilme auf den ersten Blick sehr unterschiedlich erscheinen, haben sie doch Gemeinsamkeiten, die sich verbinden. So wird zum Beispiel in allen mit Videoplattformen gearbeitet, und diese werden aktiv dafür genutzt, besondere Gruppenkonstellationen und Dynamiken zu erschaffen und zu betonen. Zudem gibt es in jedem Stück mindestens eine „Python“, die dafür sorgt, dass etwas schiefgeht, oder jemanden, häufig auch den Zuschauer*innen gleich mit, hinters Licht führt.

 

von Moana, Schülerin des THG Göttingen

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