Rezension zu „Emilia Galotti – Klappe die Erste“

Klappe die Zweite!

Schon vor dem Beginn stehen sie auf der dunklen Bühne des LOT-Theaters im Freeze bereit, ein klassisches Figurentableau, die Spieler*innen in Pose. Das Stück beginnt, die Bühne wird erleuchtet, der Vers ertönt: „Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert“…

Wer vorher lediglich einen flüchtigen Blick auf das Programmheft der Braunschweiger Schultheaterwoche geworfen hatte, konnte als Zuschauer*in bis zu diesem Zeitpunkt noch den Eindruck haben, den Klassiker „Emilia Galotti“ präsentiert zu bekommen. Doch das anschließende harsche „Cut!“ der chronisch unzufriedenen Regisseurin macht deutlich: Wir befinden uns in einem Filmstudio, einem eher zweitklassigen, wie die sich anschließenden, flüssig und collageartig aneinandergereihten Szenen deutlich zeigen. Eine Katastrophe jagt die nächste, ob es nun das Stuntdouble ist, welches dem Schauspieler so gar nicht ähnlich sieht, oder der Kaffeeautomat, der nie so funktioniert, wie er soll, oder der sich im wahrsten Sinne des Wortes zum running gag entwickelnde Vogel, der Star der Abteilung Dokumentarfilm des Studios.

Die Schüler*innen des DS-Kurses Jahrgang 12 der IGS Wallstraße in Wolfenbüttel spielen gekonnt mit den Klischees und der Erwartungshaltung der Zuschauer*innen und beweisen dabei geballte Medien- und Werbekenntnis. Sie gestalten ihre Figuren mit sichtbarer Spielfreude, deutlicher Aussprache und hohem Tempo – immer die Situationskomik im Blick. Das übertriebene Spiel ist dem Genre geschuldet und funktioniert insbesondere bei Figuren wie „Captain Germanik“, der sich im unverdrossenen Wechselspiel mit dem Publikum in übertrieben kindlicher Ansprache über ebendiese lustig macht. Das ist oft witzig und rollengetreu, auch wenn manchem Dialog eine Kürzung oder zumindest Überarbeitung sicher noch gutgetan hätte. Die Spieler*innen vertrauen hier manchmal zu sehr auf ihre zweifellos vorhandene Rolleneinfühlung. Letztere beruht, wie in der Nachbesprechung deutlich wird, im Wesentlichen auch auf Impulsen der Spielleiterin Jasmin Schwarz und den sich anschließenden Improvisationen; zahlreiche daraus entstandene Ideen sorgen für kurzweilige Unterhaltung.           

Von einigen Figuren würde man gerne mehr erfahren, wie zum Beispiel von der „Emilia“, die in einem gegen Ende des Stückes gezeigten gelungenen Video darüber klagt, dass man ihre unglaubliche Begabung noch nicht in Gänze erfasst habe. Für einen Moment eröffnet ihre – obgleich witzig gemeinte – eindringliche Klage den Weg zu einer größeren Einfühlung mit dieser Figur, zu der eben auch „echte“ traurige Momente und differenziertes Spiel gehören. Denn wer kennt das nicht, das sichere Gefühl, zumindest ab und zu ein verkanntes Genie zu sein?   

In der abschließenden Szene, die passenderweise wieder alle Spieler*innen mit Spielfreude und Tempo auf die Bühne bringt, wird der „Studio-Award“ verliehen. Wer der Auserwählte ist, soll hier im Zeitalter der Spoiler-Warnungen nicht verraten werden! Also entweder selbst anschauen oder auf den zweiten Teil warten. Interessieren würde es mich jedenfalls, wie es mit diesem unglaublichen Studio weitergeht und vor allem, wo man die „Personalpronomen-Pumpgun“ legal erwerben kann, also: Klappe, die Zweite!

Ulrich Stracke

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